Digitale Lernkonzepte - nur "Wirtschaftsförderung"?

Ganz und gar nicht überzeugt von digitalen Lernkonzepten im Allgemeinen und von Lernspielen insbesondere ist beispielsweise Ralf Lankau. Dem Professor für Mediengestaltung und -theorie an der Uni Offenburg zufolge verlerne man in der Schule das Lernen. Und dies würde durch eine Digitalisierung des Unterrichts sich verstärken.

In einem recht polemischen Beitrag ("Wie man das Lernen in der Schule verlernt") der Ausgabe 4-2015 von "LehrerNRW" begründet Lankau seine ablehnende Haltung: "Wer (…) Technik als Bedingung für 'inklusive Bildungssettings, Chancengerechtigkeit der Bildungssysteme und neue Lernansätze durch Game Based Learning' fordert, macht sich zum Büttel der IT-Lobyisten. Wenn Bundestag und Verbände der Computerspiele-Industrie (…) begrüßen sollen, dass 'serious games' als Lehrmittel weiterentwickelt und ausgezeichnet werden, wird deutlich, dass nicht Lernprozesse initiiert werden sollen, sondern Wirtschaftsförderung intendiert ist."

So ließen sich, argumentiert Lankau weiter, Schülerarbeiten bereits beim Lösen der Aufgaben kontrollieren und die Aufgaben automatisiert korrigieren. Das sei zwar technisch möglich, nur keine Schule mehr, sondern "ein dystopisches Lernkontrollszenario".

Lern-Apps - oft nur "schicker Schnickschnack"?

Weniger polemisch, aber ebenso skeptisch dem Einsatz von digitalen spielbasierten Lernmethoden und -werkzeugen gegenüber steht Dr. Beate Großegger. Die Expertin für Jugendforschung aus Österreich meint: "Lern-Apps sind oft nur ein schicker Schnickschnack."

Im Interview mit der Wochenzeitung "Die Presse" (Mitte Februar) erklärt Großegger, warum: Anfangs habe man versucht, "sperrige Lerninhalte lustiger zu gestalten." Dabei seien, laut Erkenntnissen der Jugendforschung, "Lernspiele die unpopulärste digitale Spielform", da Heranwachsende "mit den Dingen, die in ihrer Kultur relevant sind, nicht auch noch pädagogisch beglückt werden" wollen. "Sie trennen klar zwischen Freizeitinteressen und Schule."

Die Aufgabe der Schule, so die Leiterin des Instituts für Jugendforschung, bestehe u.a. darin, Vor- und Nachteile beider Welten - der analogen wie der digitalen - aufzuzeigen. Die Didaktik müsse an die neuen Technologien angepasst werden. Schließlich seien Lehrende die lebenslang Lernenden.

Computerspiele machen Schule. Schule macht Computerspiele.

Für die New Yorker Schule "Quest to Learn - School for digital Kids" (Q2L) ist der Name Programm. Seit 2009 erfinden und gestalten dort Kinder und Jugendliche ab der sechsten Klasse digitale Spiele - so, wie es der Lehrplan vorsieht, der selbst wie ein Computerspiel strukturiert ist und gemeinsam mit Lehrern und Spieleentwicklern erstellt wird.

Spielen steht hier im Zentrum des Unterrichts. "Spielerisches Lernen ist ein unglaubliches Gemeinschaftserlebnis", wird die Gründerin Prof. Katie Salen in einem Artikel der Wochenzeitung "Die Zeit" zitiert. In dem 3sat-Beitrag "Verspielte Welt" (Mai 2015) führt der Leiter der Schule, Robert Gehorsam, weiter aus: "Wir haben erkannt, dass sich die Kultur und -verhaltensweisen, die rundum digitale Spiele entstanden sind, auch auf Bildungssysteme übertragen lassen, wie etwa Schule (...). Wir haben die besten Elemente genommen: Wie Zusammenarbeit, Gespür für Design, Systeme, Kreativität, mit der Kinder selbst Spiele entwickeln. Und wir haben versucht dieses, für den Schulalltag zu nutzen." Offenbar ist ihnen dies gelungen. Die Noten lägen über dem Durchschnitt anderer New Yorker Schulen, obwohl ein wesentlicher Teil des Unterrichts aus elektronischen Spielen bestehe.

In Zusammenarbeit mit der Chicago International Quarter School entstand im Jahr 2011 eine weitere Schule in Chicago - die CICS ChicagoQuest. Auch an dieser Schule folgen Schüler im Unterricht nicht rein den Instruktionen von Lernspielen oder der Lehrkraft, sie selbst werden zu Konstrukteuren ihrer Lernumgebungen. Grenzen zwischen Schulfächern und Disziplinen sind hier fließender, durchlässiger. Im Vordergrund steht eine ganzheitliche und praxisorientierte Herangehensweise von Wissenstransfer.

Als Schattenseite dieser und ähnlicher innovativen Schulmodelle könnte unter anderem das Belohnungssystem angesehen und kritisiert werden, in dem die Schüler in mehrwöchigen "Missionen", sich "Level" um "Level" "Herausforderungen" stellen, um schließlich das Klassenziel zu erreichen - das Boss-Level. Kritiker werfen vor, es ginge bei dieser Form des Lernens nicht mehr darum, des Wissens wegen zu lernen. Vielmehr werde für das Spiel gelernt, um der Beste zu sein und Anerkennung zu finden, wie der Mathematiker Michael Wagner vom Department für Bildwissenschaften der Donau-Universität Krems in einem Vortrag 2010 (Konferenz "Clash of Realities") betonte.

Auch für Wagner ist zwar das Spielen für das Lernen wichtig. Nur glaubt er nicht, dass beim Spielen konkrete Inhalte vermittelt würden. Man trainiere die Wissenskonstruktion als solche, eine Art Metakompetenz, man lerne zu lernen.

Spielerisch lernen - Wissenstransfer ein Kinderspiel

"Lernen mit digitalen Spielen wird unweigerlich zu einer Grundform des Lehrens und Lernens", meint Professor Dr. Dr. Klaus Peter Jantke vom Frauenhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT). Man käme am Game Based Learning nicht vorbei. Also müsse man lernen, es zu beherrschen, heißt es im Beschreibungstext seines Workshops "Serious Games - spielerisch digital lernen".

Allerdings: Selbst ein Befürworter wie Jantke bemängelt, "dass bei vielen auf dem Markt befindlichen Lernspielen das Verhältnis zwischen Bildung und Unterhaltung unausgeglichen sei."

Einen guten Überblick darüber, wie vielfältig die Formen von Serious Games ausfallen können, ging aus dem Vortrag von Prof. Dr. Jeffrey Wimmer von der Universität Ilmenau hervor. Die Qualität und Tiefe einzelner Lernspiele und Lernumgebungen können vielfältig ausfallen. Oftmals müssen Lernspiele mit weitaus kleineren Produktionsbudgets auskommen, als die Unterhaltungsspiele der Branchengrößen. Laut Wimmer wird "die pädagogische Leistung von Serious Games überschätzt". Je unterhaltsamer etwas sei, desto mehr würden Bildungsabsichten in den Hintergrund treten. Daher empfahl er Pädagogen, beim Einsatz von Serious Games "auf eine klare Einbindung in bestehende Bildungspläne zu achten." Auch müsse man berücksichtigen, dass diese Art des Lehrens und Lernens zeitintensiver wäre, als die herkömmlichen Schulstunden es vorsehen.

Darauf und auf weitere Grenzen von Serious Games im Unterricht wies Anja Schweiger von der Universität Greifswald hin. Es bestehe die Gefahr, "dass das Verhältnis von Unterhaltung und Bildung kippt oder der zeitliche Aufwand sowie Kosten den pädagogischen Nutzen übersteigen." Hinderlich seien auch "die fehlenden Differenzierungsmöglichkeiten von Spielen". D.h. ein Spiel könne einen Teil der Schülerschaft langweilen, während sich der Rest überfordert fühle.

Für viele deutsche Schulen sind solche Entwicklungen eher Zukunftsmusik, gleichwohl es mittlerweile einige Initiativen im Bereich von Schulprojekten und der außerschulischen Pädagogik zu verzeichnen sind. Dazu zählt beispielsweise die Initiative ComputerSpielSchule, die 2008 in Leipzig gegründet wurde. Vier Jahre später folgte eine weitere in Greifswald. Seit dem 5. Juni 2015 hat auch Hamburg eine ComputerSpielSchule.

Das Minecraft-Projekt "Build your City" beispielsweise ist im Jahr 2013 unter Federführung der Leiterin der ComputerSpielSchule Greifswald Anja Schweiger entstanden. Schüler bauten hier die Stadt Greifswald unter Berücksichtigung architektonischer und geschichtlicher Aspekte in der Minecraft-Welt nach. Ziel des Projektes war, "die 'Medienkompetenzentwicklung sowie die Ausbildung schulspezifischer und sozialer Kompetenzen' bei den Spielerinnen und Spielern zu fördern."
 

Fazit

Noch sind es wenige Beispiele für den Einsatz von spielbasierten Lehr- und Lernkonzepten mit digitalen Lehrmitteln, die sich lediglich darin erschöpfen, dass sie  vordergründig in Initiativen im außerschulischen Pädagogikbereich oder im Projektunterricht kurzfristig genutzt werden - während die Spiele-Industrie schon längst ihre Hausaufgaben gemacht zu haben scheint: Eine ganze Reihe Anbieter von Lernsoftware, Lernspielen, Programmier-Lernsoftware ist bereits vorhanden. Und das immerhin schon seit Mitte der 1990er Jahre.

Doch wie viel Education steckt in Edutainment und wie viel davon ist rein Entertainment? Wie nachhaltig und tiefgründig ist das mit erziehungsorientierter Software erworbene Wissen? Der pädagogische Wert bleibt weiterhin vieldiskutiert und umstritten.

Wie sinnvoll ist der Einsatz spielerischer Lernmethoden an PC und Tablet?

Digitale spielbasierte Lernmethoden und Lernwerkzeuge - nur gut verpackte PR der Spiele-Industrie und "schicker Schnickschnack"? Spielerisch lernt es sich leichter - aber digital auch besser und effektiver? Das Internet-ABC zeigt einige Positionen zum Thema "Computerspiele(n) im Unterricht" auf.

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